Ich
… bin ich,
inzwischen im Rentenalter
und schaue auf mein Leben zurück.
Wer bin ich und
warum bin ich so,
wie ich bin?
Was hat mich zu dem gemacht,
was ich heute bin?
Da gibt es die Anlagen,
mit denen ich geboren wurde,
Menschen,
denen ich im Laufe meines bisherigen Lebens begegnet bin
und verschiedene Lebensphasen,
mit denen ich Positives,
wie Negatives verbinde.
All das hat mich zu dem gemacht,
was ich heute bin.
Wie viele Anlagen ich in mir trage?
Ich weiß es nicht.
Ich kenne nicht alle.
Einige sind für mich und
für meine Mitmenschen deutlich erkennbar:
– mein Aussehen,
– bestimmte Verhaltensmuster,
– Stärken und
– Schwächen.
In meiner Schulzeit habe ich
Mitschüler mit musischen, künstlerischen
oder sportlichen Fähigkeiten beneidet.
Ich verfüge über keine dieser Fähigkeiten.
Ich brauchte Zeit und
ich brauchte Mitmenschen,
um zu verstehen,
dafür kann ich etwas anderes.
In verschiedenen Situationen und
in vielen Gesprächen lernte ich nicht nur andere Menschen,
sondern auch mich selbst besser kennen.
Heute weiß ich,
auf meine Mitmenschen wirke ich eher still,
nicht laut oder gar schrill.
Ihrer Meinung nach kann ich gut zuhören,
weiß aber in Krisensituationen nicht immer sofort eine gute Lösung.
Ich brauche Zeit,
um gute Lösungen herauszuarbeiten.
Mir fehlt die Spontanität,
der Mut, etwas auszuprobieren,
ohne zu wissen, wie es ausgeht.
Manchmal sehen mich meine Mitmenschen anders,
als ich mich selbst.
Folglich stimmt mein Selbstbild
nicht immer mit dem Fremdbild überein.
Heute weiß ich:
Ändern kann ich meine Anlagen nicht,
wohl aber lernen,
sie anzunehmen.
Das fällt mir leicht,
wenn ich das Gefühl habe,
dass sie mir guttun,
mich stärken.
Was aber tue ich,
wenn ich sie nicht mag?
Sie sind da,
abgeben, löschen,
geht nicht!
Es beginnt ein nie aufhörender Prozess,
daran zu arbeiten,
auch diese Anlagen zu akzeptieren,
zu verstehen: Das bin ich!
Im Laufe meines Lebens bin ich vielen Menschen begegnet,
manche für eine lange Zeit, manche nur kurz.
Die ersten Schritte begleiteten meine Eltern,
meine Großeltern und Geschwister.
Sie haben mich nachhaltig geprägt,
mich stark gemacht und selbstbewusst.
Später erweiterte sich der Kreis und
ich musste erfahren:
Nicht alle meinten es gut mit mir.
Ich wurde verletzt, enttäuscht und
lernte, genauer hinzuschauen,
hinzuhören, abzuwägen.
Doch wie bin ich all diesen Menschen begegnet?
Offen und ehrlich?
Bestimmt nicht immer!
Manchmal standen mir Neid oder das Gefühl,
im Schatten dieser Menschen zu stehen, im Wege.
Sie waren mir zu stark, zu selbstbewusst,
mit der Folge, dass ich mich zurückgezogen habe.
Wie viele Chancen habe ich dadurch vergeben?
Anderen Menschen bin ich gerne begegnet.
Ich denke da an eine sehr liebe, herzliche Freundin,
die immer da war.
Ich musste ihr nicht erzählen, wie es mir ging.
Sie sah es,
war da, hörte zu, half.
Seit Jahren schenke ich älteren Menschen etwas Zeit,
höre ihnen zu.
Ich hätte nie geglaubt,
dass mich ihre Erzählungen so tief bewegen,
mich verändern.
Diese Menschen erzählen mir von ihrem Leben,
von ihren Sorgen, aber auch Freuden.
Ich erfahre viel von diesen Menschen,
ich erfahre viel über diese Menschen.
Mein Eindruck:
Diese Menschen verstellen sich nicht,
sie müssen sich und anderen nichts mehr vormachen.
Sie sind ehrlich, aufrichtig.
Manche dieser Erzählungen habe ich bis heute nicht vergessen.
Manche dieser Menschen mussten so viel durchmachen, aushalten,
sind dennoch nicht verhärtet, sondern ruhen in sich selbst.
Wie kostbar ist es, zu hören, wie sie das geschafft haben.
Ihre Erzählungen weiteten meinen Blick.
Viele Lebensphasen prägten meinen Lebensweg:
Meine Kindheit, meine Ausbildung, meine Jugendzeit.
Ich habe eine Familie gegründet, wurde Mutter, Oma,
habe das „tiefe“ Gefühl erleben dürfen,
wenn sich Kinderärmchen um den Hals schmiegen,
Kinderaugen dich anlächeln, dir vertrauen.
Es sind Momente, Augenblicke, die bleiben unvergessen.
Noch schöner, dass ich sie teilen kann mit meinem Partner.
Diese lange, vertrauensvolle Beziehung ist kostbar, wertvoll.
Sie stärkt mein Ich.
In all diesen Phasen wurde ich mal mit Herausforderungen konfrontiert,
mal durfte ich kostbare Zeiten durchleben.
Noch heute ist es so,
dass mir die kostbaren Momente, die leichten Phasen lieber sind
als die Herausforderungen.
Ich liebe es, unbedarft durch einen Tag zu gehen,
zu lachen und andere an meiner Freude teilhaben zu lassen.
Und doch weiß ich:
Gerade an den Herausforderungen bin ich gewachsen, gereift.
In der Mitte meines Lebens wurde ich schwer krank und
lernte, Mitleid von Mitgefühl zu unterscheiden,
lernte, wie viel Kraft in mir steckt,
wie viel ich aushalten kann.
Diese Krankheit und noch andere leidvolle Ereignisse
haben etwas mit mir gemacht, mich verändert.
Ich wurde nachdenklicher, ernster,
habe häufiger nach dem „Warum?“, „Warum ich?“ gefragt,
mich intensiv mit diesen Fragen auseinandergesetzt.
Ich wurde selbstbewusster, traute mir mehr zu,
und: Ich wurde dankbar,
nahm nicht mehr alles als selbstverständlich hin,
lernte, das Gute, das Schöne zu schätzen.
Nichts bleibt,
wohl aber die vielen Erinnerungen daran,
und das Gespür dafür,
dass mich all das zu dem gemacht hat, was ich heute bin.
Ich bin verantwortlich für das, was ich bin,
doch ich bin nicht allein verantwortlich.
Das Leben schreibt seine eigenen Regeln
und wir haben uns darin einzufügen.
Das Leben ist,
wie es ist.
Heute, im Rentenalter, blicke ich zurück auf mein bisheriges Leben
und empfinde mein Lebensglas als halb voll.
Ich liebe das Leben,
ich liebe mich!
Ich bin ich!