IV.III.XIII Das Christentum Entwicklung-Missbrauch-Verantwortung

Das Christentum zählt zu den fünf Weltreligionen,

seit 2002 laut dem Theologen Gerhard Wehr sogar sieben *).

Drei dieser sieben Religionen

ist der Glaube an nur einen Gott gemeinsam.

Die Älteste unter ihnen ist das Judentum,

bereits 3000 Jahre alt.

Vor gut 2000 Jahren entwickelte sich aus dem Judentum das Christentum

und rund 560 Jahre später auch der Islam.

Aus den großen Weltreligionen haben sich bis heute

viele verschiedene Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften gebildet.

Die Entwicklung des Christentums begann im römischen Palästina.

Den Anstoß lieferten die Anhänger des jüdischen Wanderpredigers

Jesus von Nazareth.

Jesus war Jude,

so wie alle seine Anhänger damals auch.

Er war ein sehr gläubiger Mensch,

der vermutlich auch keine neue Religion ins Leben rufen wollte.

Wissenschaftler vermuten,

dass es Jesus eher darum ging,

seine jüdischen Anhänger darin zu stärken,  

ihren Glauben an Gott etwas anders zu leben als bisher.

Jesus wollte nicht das Judentum in Frage stellen,

er wollte neuen Wind, neuen Schwung in den Glauben bringen.

Doch es kam anders,

denn mit der Zeit lebten sich

die Anhänger des bisherigen Judentums und

die Anhänger des Wanderpredigers Jesus von Nazareth auseinander.

Damit begann die Entwicklung des Christentums aus dem Judentum.

Die Entwicklungsschritte dieser neuen Weltreligion zu beschreiben,

würde Bücher füllen.

Sicher ist, dass in den 2000 Jahren 

die politische Führung,

die Gesellschaft,

die Kultur sowie

die Mentalität der Gläubigen und der Lehrenden in den einzelnen Ländern

das Christentum mitgeprägt haben.

Eine Weltreligion dieser Größenordnung braucht Führung.

Im Christentum ist es der Vatikan in Rom,

eine strenge, hierarchische Struktur.

Während Führung von oben nach unten gelebt wird,

beginnt der Aufbau von Akzeptanz und Glaubwürdigkeit an der Basis.

Doch wie erfüllten die Verantwortlichen an der Basis ihre Aufgaben?

Die einen dem Auftrag Gottes folgend,

die anderen den eigenen Bedürfnissen folgend.

Die einen begegneten den Schutzbefohlenen mit Vertrauen,

lehrten sie, das Leben eigenverantwortlich nach Gottes Botschaft zu führen.

Die anderen lehrten anders, als sie lebten.

Sie waren keine Vorbilder, gaben aber vor, welche zu sein.

Sie verspielten Vertrauen, statt Vertrauen zu schenken.

Ihr Vorgehen reichte von kleinen Entgleisungen

bis hin zum Missbrauch von Schutzbefohlenen.

Wie war das möglich?

Diese Menschen nutzten ihre Stellung in der Kirche.

Sie nutzten ihre Autorität, ihre Macht gegenüber den Gläubigen.

Die Gläubigen fügten sich dieser Autorität,

stellten sie nicht infrage.

Das wussten die Mitarbeiter im kirchlichen Dienst und wiegten sich in Sicherheit.

Hinzu kam, dass auch in den Familien,

in den Schulen und anderen Einrichtungen Gewalt geduldet wurde.

All das, was über die körperliche Ertüchtigung hinaus ging,

der sexuelle und psychische Missbrauch,

war für die Gläubigen nicht vorstellbar.

Mit der Zeit veränderte sich die Gesellschaft.

Die Menschen wurden selbstbewusster, kritischer,

sie beugten sich nicht mehr bedingungslos der Macht der Kirche.

Auch die Einstellung zur Gewalt veränderte sich,

sie wurde nicht mehr geduldet, vielmehr verurteilt.

In dieser Zeit fassten die ersten misshandelten Personen Mut und

klagten ihre Peiniger von damals an.

Damit rückten sie das Thema in die Öffentlichkeit.

Die Betroffenen forderten von ihren Peinigern die Anerkennung ihrer Schuld,

von deren Vorgesetzten personelle und strafrechtliche Konsequenzen für die Peiniger und

von der Kirche eine finanzielle Wiedergutmachung für sie.

Die Kirche sollte Stellung beziehen, schwieg aber lange zu den Vorwürfen.

Eine erste Aufarbeitung begann langsam und holprig.

Manche Peiniger von damals waren bereits verstorben,

andere wurden versetzt und wieder andere bestritten alles.

Noch heute werden Gutachten erstellt, nicht anerkannt und wieder neue erstellt.

Mit diesem Verhalten verliert die Kirche an Glaubwürdigkeit,

die steigende Zahl von Kirchenaustritten belegt das.

Wie sollte eine ehrliche Aufarbeitung aussehen?

Die Verantwortlichen innerhalb der Kirche sollten auf die schauen,

die den Missbrauch tatsächlich begangen haben und auf die,

die weggesehen, ihn geduldet haben.

Auf die einen, weil sie nicht ihrer Verantwortung gegenüber den Schutzbefohlenen gerecht geworden sind und auf die anderen,

weil sie nicht der Verantwortung für ihre Mitarbeiter gerecht geworden sind. 

Wie lässt sich das Verhalten der Kirche erklären?

Fehler zuzugeben, bedeutet Verlust;

Verlust von Macht, von Ansehen.

Fehler zuzugeben, bereitet Angst;

Angst vor den Konsequenzen, Angst vor dem Verlust von Karriere.

Doch dieses Verhalten vermittelt noch eine Botschaft:

Den Peinigern wie den Vorgesetzten

sind die misshandelten Menschen egal,

sie schieben das Geschehene von sich,

wollen sich nicht mit den körperlichen und seelischen Schmerzen,

nicht mit den Langzeitfolgen und

nicht mit den Depressionen dieser Menschen befassen.

Doch diese Menschen können nicht die Folgen der Misshandlungen verbergen.

Sie sind gezeichnet,

die meisten für den Rest ihres Lebens.

Die Peiniger und ihre Vorgesetzten interessieren sich ebenso wenig

für die Folgen der christlichen Kirche.

Sie sorgen sich vielmehr um die Folgen für ihre eigene Laufbahn.

Wissen die Menschen,

die, die den Missbrauch begangen,

die, die ihn zugelassen, gedeckt,

die weggeschaut, geschwiegen haben,

wie sehr sie Gott verletzt haben,

wie sehr sie seine Gebote,

sein Wort mit Füßen getreten haben,

wie sehr sie die Gläubigen aus der Bahn geworfen haben?

Wir Gläubigen sollten verstehen:

Gott bleibt der, der er ist.

Aber in seiner Kirche arbeiten nicht nur Menschen,

die nach seinem Wort leben, es lehren und danach handeln.

In seiner Kirche arbeiten auch Menschen,

die ihren eigenen Plänen folgen.

Nichts von dem, was geschehen ist,

lässt sich zurücknehmen,

wohl aber schonungslos aufarbeiten.

Alles beginnt mit einer

ehrlichen Entschuldigung

gegenüber den Gepeinigten.

Nur darin liegt die Chance,

unseren Glauben wieder aufleben zu lassen.

Nur darin liegt die Chance,

Vertrauen zurückzugewinnen.

*) Zu den sieben Weltreligionen gehören:

– das Judentum,

– das Christentum,

– den Islam,

– den Hinduismus,

– den Buddhismus,

– der Daoismus und

– der Konfuzianismus.