IV.III.XI Sich verstanden fühlen!

Es ist ein ureigenes Bedürfnis von uns Menschen,

sich verstanden zu fühlen, wenn

es uns schlecht geht,

weil wir Angst haben,

Sorgen uns quälen oder

Hoffnungslosigkeit uns den Mut nimmt.

All diese Gefühle lösen Schmerzen aus:

seelische sowie körperliche Schmerzen.

Als Betroffene wünschen wir uns aufrichtiges Mitgefühl,

als Nicht-Betroffene, dass unsere Hilfe angenommen,

richtig verstanden wird.

Wir empfinden den eigenen Schmerz anders

als den Schmerz eines Freundes,

den Schmerz eines Freundes anders

als den Schmerz eines uns nicht nahestehenden Menschen.

Jeder empfindet anders,

geht anders mit einer Situation um,

und doch ertappen wir uns dabei,

die unterschiedlichen Verhaltensweisen zu vergleichen

und zu bewerten.

Leid geschieht überall:

Mal weit weg,

mal in unserer unmittelbaren Umgebung.

Immer wieder erreichen uns Nachrichten vom Leid der Welt:

Wir hören von Hungersnöten in Afrika, in Syrien oder anderswo.

Gerät die Hungersnot im Blick von humanitären Einrichtungen,

sehen wir Bilder aus den betroffenen Ländern;

Bilder von stark abgemagerten Menschen,

die apathisch auf uns wirken,

mit leeren Augen in die Kamera blicken.

Der Anblick ist kaum auszuhalten.

Ohne die Zusammenhänge im Einzelnen zu kennen,

fragen wir: „Warum?

Warum müssen Menschen sterben,

wo in reichen Ländern tonnenweise Lebensmittel vernichtet werden?“

Auch, wenn bei uns Menschen in Armut leben,

wirklich verhungern muss niemand,

wenn wir aufeinander achten, uns der nächste nicht egal ist.

Wir haben ein soziales Netz,

wohl wissend, dass es nicht alle auffängt.

Hungersnot in Afrika

Wir hören von Kriegen in Syrien, in Afrika oder, wie jetzt, in der Ukraine.

Mehrmals täglich informieren uns Nachrichten und Bilder

über das Ausmaß der Zerstörung.

Wir sehen zerstörte Panzer, Raketen, Wagen,

in Flammen stehende Gebäude,

verzweifelte Menschen.

Der Krieg und seine Folgen trifft am stärksten die Menschen vor Ort,

doch er hinterlässt auch Spuren bei den Menschen,

die um Verwandte, Freunde oder Bekannte im Kriegsgebiet bangen.

Wie lange berühren uns diese Nachrichten?

Die ersten Informationen und Bilder schocken,

holen uns ab, ziehen uns in ihren Bann.

Doch fast unbemerkt sinkt mit zunehmender Zeit unser Interesse.

Warum ist das so?

Sind es die zahlreichen Endlos-Diskussionen über Kriegsstrategien,

Waffenlieferungen und politische Meinungen?

Vielleicht berühren uns hautnahe Berichterstattungen von Journalisten,

sowie Flüchtlinge, die offen von ihren Ängsten, ihren Sorgen berichten, mehr.

Krieg in der Ukraine

Wir hören von Naturkatastrophen im In- und Ausland.

Die ersten Nachrichten und Bilder führen uns

das ganze Ausmaß der Katastrophe vor Augen.

Wir sehen zerstörte Gebäude, verzweifelte Menschen.

Den Betroffenen wurde alles genommen,

sie wissen nicht, wie es weitergehen soll.

Die Bilder von Toten gehen unter die Haut,

lassen uns ahnen, dass Menschen um sie weinen.

Leid lässt die Menschen zusammenrücken.

Da wird nicht auf die Hautfarbe geschaut,

nicht nach dem Bildungsstand gefragt.

Jeder Helfer ist willkommen:

Menschen aus den Nachbarorten,

Menschen aus anderen Ländern,

Ärzte, die Bundeswehr, das technische Hilfswerk,

Unternehmer, junge und ältere Menschen.

Sie alle packen mit an,

tun, was sie können.

Menschen aus der Umgebung sorgen für das leibliche Wohl

sowie für Schlafmöglichkeiten all dieser Helfer.

Sie sagen allen auf diese Weise: „Danke!“

Tornado in Paderborn – Foto aus dem Westfalenblatt

In der Regel sind Nachrichten wie diese mit Spendenaufrufen verbunden.

Neben der finanziellen Unterstützung gehören Hilfspakete mit Lebensmittel,

Kleidung, Spielzeug, Medikamenten oder

was sonst noch gebraucht wird, dazu.

Jede Hilfe, jede Hilfsaktion zählt.

Noch persönlicher berühren uns schockierende Ereignisse

in unserer unmittelbaren Umgebung.

Manchmal trifft es Menschen, die wir wertschätzen,

manchmal trifft es uns selbst.

Wir hören von Arbeitslosigkeit.

Niemand wünscht sich, arbeitslos zu werden,

und doch kann es jeden treffen.

Selten ist Arbeitslosigkeit selbst verschuldet.

Viel häufiger führen Unternehmensentscheidungen

Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit.

Nicht selten ahnen Betroffene es schon im Vorfeld,

denn kurzfristig einberufene Betriebsversammlungen,

Artikel in den Medien über anstehende Veränderungen im Unternehmen,

Verkauf von Segmenten oder

Empfehlungen von Unternehmensberatern

sind Anzeichen einer möglichen Entlassungswelle.

Die Gerüchteküche brodelt,

macht die Belegschaft nervös.

Wie gut ist da ein Freund,

der sich Zeit für uns nimmt,

wenn es uns trifft.

Der dann einfach da ist,

offen ausspricht,

dass nicht Resignation unser Problem löst,

sondern die aktive Auseinandersetzung mit der Situation.

Der uns begleitet,

wenn wir uns bewerben,

uns den Ausleseverfahren stellen,

uns Repressalien entgegenschlagen,

wir eine Absage annehmen müssen.

Er spricht offen an, dass wir aus

Absagen auch etwas lernen können,

spornt uns an, Neues auszuprobieren.

Als Betroffene erleben wir hautnah,

dass manche Menschen uns verständnisvoll,

mitfühlend begegnen,

andere diskriminierend,

verletzend.

Das auszuhalten, ist nicht einfach!

Da ist die Angst vor dem sozialen Abstieg,

die Angst, zu versagen,

die Angst, sich überfordert zu fühlen,

das Gefühl, sich verteidigen zu müssen.

Manche Nicht-Betroffene fühlen mit,

sind vielleicht sogar dankbar dafür,

dass sie noch Arbeit haben.

Wir hören von der Erkrankung eines lieben Menschen.

Krank werden kann jeder,

manchmal selbst mit dazu beigetragen,

viel häufiger aber ausgelöst durch verschiedene Faktoren.

Krank werden,

krank bleiben,

hat nichts mit Schuld zu tun.

Unsere Lebensweise kann

den Ausbruch einer Krankheit,

sowie deren Verlauf beeinflussen,

die Krankheit aber selbst verhindern,

kann sie nicht.

Niemand von uns hat Einfluss darauf,

ob wir die Rolle des Kranken

oder die Rolle des Pflegenden übernehmen möchten.

Diese Rollen werden verteilt,

wir suchen sie uns nicht aus.

Kann sich der Kranke auf den Pflegenden einlassen,

der Pflegende auf den Kranken?

Haben beide Verständnis,

Geduld mit dem anderen?

Der Kranke muss den Schmerz aushalten,

Pflegende und Besucher können 

ihn auf andere Gedanken bringen,

ihn so für Momente von seinen Schmerzen ablenken.

Diese Menschen fühlen mit,

betreuen, trösten.

Manchmal sollten sie konsequent sein,

manchmal auch „Fünfe grade sein lassen“.

Das fällt nicht immer leicht.

Aushalten,

da sein,

beides ist schwer.

Wir hören von einem Streit zwischen uns vertrauten Menschen.

Jeder Mensch ist einzigartig,

folglich fühlen, denken, handeln wir nicht alle gleich.

Doch Individualität hat ihren Preis,

sie macht unser Leben vielfältig und bunt,

führt aber auch zu Reibungspunkten.

Streiten will gelernt sein.

Die einen streiten laut und wortgewaltig,

lassen keine andere Meinung außer die eigene zu,

die anderen streiten sachlich und ruhig,

bemüht, die eigene Meinung zu erklären.

Manche Streitigkeiten erfolgen impulsiv,

andere gut vorbereitet.

Wie gut,

wenn wir nach einem Streit einen Freund haben,

einen,

der uns zuhört,

der uns nicht „nach dem Mund“ redet,

der diplomatisch bleibt,

der uns hilft,

unseren eigenen Standpunkt zu finden,

der uns ermutigt,

Kritik zuzulassen,

der uns zu verstehen hilft,

dass Kritik uns weiterbringen kann,

der uns hilft zu begreifen,

dass es völlig in Ordnung ist,

zu einem Thema unterschiedliche Meinungen zu haben.

Ein guter Freund fühlt mit,

versucht,

die Spitze,

den Stachel

aus dem Streitthema herauszunehmen.

Wir möchten uns verstanden fühlen,

gleich, um welches Problem es gerade geht.

Ist dieser allzu menschliche Wunsch erfüllbar?

Allein die hier beschriebenen Situationen zeigen:

Wir können nicht mit jedem Menschen mitfühlen,

nicht die ganze Welt umarmen,

um unser Mitgefühl auszudrücken.

Aber wir können zuhören, hinsehen

und da, wo wir persönlich in der Lage sind,

unser Mitgefühl zeigen:

indem wir da sind,

unsere Hilfe anbieten,

unterstützen.


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